"Bei der Sanierung passiert viel zu wenig"
Von Joachim Fahrun
Die Zeit für einen verschärften Klimaschutz drängt. Während Tausende auf den Straßen demonstrieren, ringt die Politik um einheitliche Zielvorgaben. Im Interview spricht Michael Geißler, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Energie- und Klimaschutzagenturen Deutschlands, über das gewachsene Klimabewusstsein bei Wirtschaft und Verbrauchern, die Probleme beim Ausbau erneuerbarer Energien sowie die Finanzierbarkeit der Energiewende.
Herr Geißler, früher gab es den Gegensatz zwischen Wirtschaftsvertretern und Klimaaktivisten. Inzwischen drängen viele Unternehmen die Politik zu mehr Tempo beim Klimaschutz. Ist das glaubwürdig?
Das ist schon ein ehrliches Umsteuern. Die meisten Unternehmen merken den Wandel nicht nur aufgrund der Veränderung der äußeren Rahmenbedingungen, sondern auch innerbetrieblich: Immer mehr Kundinnen und Kunden erkundigen sich, wie es um die Klimaneutralität der Produkte steht. Und viele Firmen beschäftigen viele junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die intern fragen, wie ihr Unternehmen in Sachen Klimaschutz aufgestellt ist.
Sind die energetischen Vorgaben für Neubauten ausreichend oder muss die Politik im Bund und Land da nochmal nachschärfen?
Für den Gebäudesektor sind die energetischen Vorgaben für Neubauten noch zu unambitioniert. Das Gebäudeenergiegesetz von 2019 schreibt nichts anderes vor als bereits die Einsparverordnung von 2016. Bisher ist für Neubauten nur der KfW-55-Standard festgelegt, wobei höhere Effizienzstandards möglich wären. Ich hoffe sehr, dass die neue Bundesregierung dieses Gesetz überarbeitet.
Alle reden über die steigenden Energiepreise für Öl und Gas, auch der Preis für CO2 steigt. Was bedeutet diese Entwicklung für den Klimaschutz?
Ich erwarte zweierlei Effekte: Erstmal gibt es den positiven Effekt, dass die Aufmerksamkeit für Energiekosten und Verbräuche gestiegen ist. Auf der anderen Seite steht die Frage, wie wir uns Klimaschutz leisten können. Dies betrifft die gesellschaftlichen Kosten, aber zunehmend auch das eigene Portemonnaie.
Aber teurere fossile Energie müsste doch dazu führen, dass verstärkt in erneuerbare Energie investiert wird.
Ja, aber es gibt nach wie vor Zurückhaltung bei den Erstinvestitionen. Hier scheinen die bestehenden Anreize noch nicht zielgerichtet anzukommen – und dies trotz guter Förderung. Ein Beispiel: Wir haben in Berlin mehr als 150.000 Ein- und Zweifamilienhäuser. Die machen 20 Prozent des gesamten gebäudebezogenen Energieverbrauchs aus. Dort ist also ein großer Hebel, aber bis dato passiert bei der Sanierung viel zu wenig. Berlin hat zum Beispiel jüngst das Effiziente GebäudePlus-Programm bei der IBB ins Leben gerufen. Das stellt nochmal die gleiche Fördersumme wie die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) zur Verfügung. Wenn man seine Fenster für 20.000 Euro saniert, kann man so insgesamt bis zu 10.000 Euro staatlicher Subventionen bekommen.
Und trotzdem machen es die Leute nicht?
Bis dato ist das Aufkommen noch sehr überschaubar. Die Investitionsbereitschaft muss durch gute Information und Beratung wachsen. Aber die 10.000 Euro müssen natürlich erstmal aufgebracht werden.
Es gibt ja jetzt in Berlin das neue Solargesetz: Ist es realistisch, auf jedes Dach eine Solaranlage zu setzen?
Für Neubauten ist dies realistisch. Die Planungsprozesse dafür lassen sich sehr leicht integrieren. Die Gestehungskosten für eine Photovoltaik-Anlage liegen heutzutage auf dem Niveau von angekauftem Strom. Das ist also wirtschaftlich.
Berlin soll 2045 klimaneutral werden, manche wünschen sich sogar ein noch früheres Datum. Ist das zu schaffen?
Wenn wir so weitermachen wie bisher? Nein. Wir haben einen viel zu hohen CO2-Ausstoß aus dem Gebäudesektor und einen stetig zunehmenden CO2-Ausstoß aus dem Verkehrssektor. In diesen Sektoren muss mehr passieren. Der Masterplan Solar City, das Solargesetz, die Förderprogramme gehen zwar schon in die richtige Richtung. Aber wir brauchen zusätzlich dringend auch eine Entbürokratisierung.
Gibt es dafür ein Beispiel?
Dachflächen auf Mehrfamilienhäusern, Gewerbegebäuden oder Immobilien der öffentlichen Hand lassen sich sowohl für Photovoltaik-Anlagen als auch für Dachbegrünungen nutzen. Das ist wichtig im Sinne von Klimaschutz wie auch der notwendigen Anpassung an den stattfindenden Klimawandel und wird unserer Erfahrung nach von immer mehr Kunden nachgefragt. Die Berliner Energieagentur betreibt mehrere dieser PV-Gründächer. Aber die Bauordnung schreibt alleine extensiv begrünte Dächer vor und fördert auch nur diese. Hier muss ordnungsrechtlich nachgearbeitet werden.
Wo sehen Sie weitere Hürden?
Photovoltaik ist die einzige Möglichkeit, wie eine Großstadt wie Berlin ernsthaft erneuerbare Energie erzeugen kann. Der Masterplan Solarcity sieht in Berlin bis 2050 einen Solarstromanteil von 25 Prozent vor, dies entspricht einer Leistung von 4400 Megawatt Leistung. Im Moment haben wir einen Bruchteil davon und bauen nur einen Bruchteil jährlich hinzu. Hier muss es dringend zu einer Beschleunigung kommen.
Was muss geschehen?
Es muss ein Förderprogramm her, um auch die Hauselektrik in den Bestandsgebäuden fit zu machen. Die lässt in den meisten Fällen eine PV-Anlage nicht zu. Der Anschluss ans Netz ist auch ein Problem, wir brauchen intelligente Zähler, es gibt Bestandsschutz und Brandschutz und weitere Auflagen. All das lässt Eigentümer noch zurückschrecken. Wir haben Fälle, da kostet die elektrische Einbindung der PV-Anlage genauso viel wie die Anlage auf dem Dach selbst. Das lässt sich niemals in absehbarer Zeit aus einer Stromkostenersparnis refinanzieren.
Die Berliner Energieagentur bietet Mieterstrommodelle an. Mieter können damit Sonnenstrom vom eigenen Dach beziehen. Warum wird das nicht viel öfter gemacht?
Die Bereitschaft für derartige Modelle wächst bei den Gebäudeeigentümern. Die technischen Rahmenbedingungen zur breiten Realisierung sind ohne Förderung wie beschrieben schwierig. In unseren bestehenden Mieterstromprojekten gibt es auch viele Hausbewohner, die von unserem Sonnenstrom profitieren. Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass das Bewusstsein und Interesse an Sonnenstrom vom Dach generell noch nicht sehr ausgeprägt ist. Hier wäre eine stadtweite Informations- und Motivationskampagne der Politik zukünftig sicher hilfreich.
Ist Mieterstrom denn teurer als anderer Strom?
Nein, im Gegenteil. Unsere Angebote sind in der Regel immer unter den fünf preisbesten Angeboten, die es in der Stadt gibt, und zwar nicht nur für Ökostrom. Die Lieferung von Mieterstrom ist sicher, die Vertragsbedingungen marktüblich, der Wechsel einfach. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Mieterinnen und Mieter selbst aktiv für den Mieterstrom entscheiden.
Lässt sich die Fernwärme, die in Berlins Versorgung mit Heizenergie eine entscheidende Rolle spielt, von Kohle und Erdgas auf erneuerbare Energiequellen umstellen?
Ja, das ist machbar. Die Frage ist, was man politisch für sozial vertretbar hält. Die Umstellung auf erneuerbare Energieträger in der Fern- oder Nahwärme wird die Kosten steigen lassen, unabhängig von der CO2-Bepreisung. Die verteuert selbstverständlich den fossilen Verbrauch. Wenn wir die bisher von der Bundesregierung festgelegte CO2-Preisentwicklung bis 2028 zugrunde legen, rechnet sich eine Umstellung auf erneuerbare Quellen in der Regel erst dann.
Sie selbst als Berliner Energieagentur bauen in der Stadt Blockheizkraftwerke, die mit Gas betrieben werden und gleichzeitig Strom und Wärme produzieren. Lässt sich dieses Geschäft aufrechterhalten, wenn es in naher Zukunft keine CO2-Emissionen mehr geben soll?
Langfristig müssen wir die Anlagen sicher mit einem anderen Brennstoff befeuern. Kurzfristig wird es in der Energieversorgung insgesamt den Wechsel von Öl oder Kohle auf Gas geben. Insofern sind unsere gasbetriebenen BHKWs eine Brückentechnologie. Danach werden wir mit Biogas kostengünstiger sein. Bisher ist das nicht so, obwohl sich manche Kunden trotzdem dafür entscheiden. Wir haben gerade in Lichtenberg ein Projekt mit 43 Wohnungen klimaneutral mit einem Biogas-BHKW ausgerüstet. Die Wärmekosten sind trotzdem moderat, weil das Gebäude sehr gut isoliert ist. Langfristig werden aber die Blockheizkraftwerke weniger werden und wir in der Nahwärme strombasierte Lösungen wie Wärmepumpen haben. Wir werden auch mehr solarthermische Wärmeunterstützung sehen. Das ist die Zukunft.
Die Gasag sagt, sie werde von Erdgas auf Wasserstoff umsteigen, weil sich dafür zumindest Teile der bestehenden Infrastruktur nutzen lassen. Ist das der Weg?
Technologisch ist das denkbar und sinnvoll. Aber die Frage ist, ob die Infrastruktur des Übertragungs- und Verteilnetzes dafür wirklich geeignet ist. Das bedeutet immense Investitionen. Und auch die Wasserstoff-Erzeugung selbst weist heute noch sehr hohe Kosten auf. Wir haben aktuell nicht genügend erneuerbaren Strom, um Wasserstoff, den zuallererst die Grundstoffindustrie braucht, zu erzeugen. Danach wäre vermutlich der Verkehrssektor dran, vor allem der Gütertransport. Ganz am Ende kommen dann Gebäude und Individualverkehr. Alles hängt also davon ab, woher und wie schnell wir diesen vielen grünen Wasserstoff zu vertretbaren Kosten zukünftig bekommen werden.
Ohne nochmals massiv mehr Strom aus Wind wird man das alles sowieso nicht schaffen, oder?
Der Ausbau der erneuerbaren Energien, vordringlich von Windkraftanlagen, ist die größte Herausforderung der neuen Bundesregierung. Wird es gelingen, zwei Prozent der Fläche für die Windkraft zu reservieren? Werden die Übertragungsnetze ausreichend ausgebaut werden? Davon hängt es ab.
Wenn ein Hauseigentümer jetzt über eine neue Heizung nachdenkt: Was würden Sie für ein Mehrfamilienhaus-Altbau raten?
Ich würde jedem Hauseigentümer zunächst raten, sich einen Sanierungsfahrplan zu machen, wobei wärmesparende Maßnahmen immer als erstes umgesetzt werden sollten. Bei der Erneuerung der Heizungsanlagen sollte nicht mehr auf eine Ölheizung gesetzt werden, bei einer Gasheizung kommt es auf das Baujahr an und den Effekt an, der mit einer neuen Therme erzielt werden würde. Man kann auch an eine elektrische Wärmepumpe denken. Aber das ist im Gebäudebestand mit bestimmten Anforderungen an das Heizungssystem insgesamt verbunden.
Wie ist das für ein Einfamilienhäuser?
Im Kern gilt das Gleiche wie bei Mehrfamilienhäusern. Hier wäre aber noch hilfreich, im Zuge eines solchen Umbaus gleich eine Ladestation für ein Elektroauto mit zu planen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, Eigenheimbesitzerinnen und -besitzern praktikable und preiswerte Angebote zu machen. Idealerweise gelingt dies in einem modular aufgebauten und geprüften „Berliner Modell“. Das sorgt für Akzeptanz und Vertrauen.
Wer erstellt in Berlin Sanierungsfahrpläne?
Es gibt in Berlin viele gute und zertifizierte Energieberater. Die Berliner Investitionsbank führt dazu eine Liste. Solche Beratungen werden auch mit bis zu 50 Prozent der Kosten gefördert, wenn sie auch umsetzungsorientiert erfolgen. Auch an uns als Berliner Energieagentur kann man sich selbstverständlich wenden. Wir haben für das Land Berlin die sogenannte Servicestelle energetische Sanierung eingerichtet und beraten dabei ganze Quartiere.
Gibt es denn genug Ingenieure und Installateure, die das alles machen?
Um es klar zu sagen: Der Fachkräftemangel ist eines der Schlüsselprobleme, für die wir schnell eine Lösung brauchen, wenn wir bis 2040 klimaneutral werden wollen. Hier brauchen wir dringend und schnell eine breite Allianz zwischen Politik und Wirtschaft.
Das heißt, so richtig optimistisch kann man nicht sein, dass diese Ziele erreicht werden?
Man muss das nach Sektoren differenziert betrachten. Wenn wir es schaffen, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen und Übertragungsnetze beschleunigt werden, können wir den Umbau in der Industrie durchaus schaffen. Da ist Power dahinter und viel Investorengeld. Im Gebäude- und Verkehrssektor werden wir es nicht schaffen, wenn es nicht gelingt, die Bereitschaft der Menschen zu stärken, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern und das heute bereits Mögliche schnell und konsequent umzusetzen.
Das gesamte Interview ist unter https://www.morgenpost.de/berlin/article233728951/Der-Ausbau-von-Windkraft-ist-die-groesste-Herausforderung.html erschienen.